Die Häuser der Kafkas

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Archiv Hartmut Binder, Ditzingen

Das vornehme Hotel ›Zum blauen Stern‹ am Graben, der deutschen Flaniermeile in Prag, war für Kafka der Ort einer nachhaltigen Erinnerung. In diesem Hotel nämlich hatte Felice Bauer am Tag ihrer ersten Begegnung logiert, am 13. August 1912, und zu diesem Hotel hatte er sie am späten Abend jenes denkwürdigen Tages begleitet, gemeinsam mit dem Vater seines Freundes Max Brod.

 

Beim Eintritt ins Hotel drängte ich mich in irgend einer Befangenheit in die gleiche Abteilung der Drehtüre, in der Sie giengen, und stiess fast an Ihre Füsse. – Dann standen wir alle drei ein wenig vor dem Kellner bei dem Aufzug, in dem Sie gleich verschwinden sollten und dessen Türe schon geöffnet wurde. Sie führten noch eine kleine sehr stolze Rede mit dem Kellner, deren Klang ich – wenn ich innehalte – noch in den Ohren habe. Sie liessen es sich nicht leicht ausreden, dass zu dem nahen Bahnhof kein Wagen nötig sei.

Wenn Kafka in den folgenden Monaten, wie es gelegentlich vorkam, schon zu früher Stunde über den Graben ging, dann kam er »vorbei am zwar schon beleuchteten, aber verhängten Frühstückzimmer des ›Blauen Stern‹, nun schaut zwar wieder jemand verlangend hinein, aber niemand mehr auf die Gasse heraus«. Während die unscheinbare Hotel-Episode für Felice Bauer kaum von Bedeutung gewesen sein dürfte, flocht Kafka sie ein in ein ganzes Netz symbolischer Beziehungen, das er zwischen sich und die spätere Verlobte legte und mit dem er die unabweislichen Gegensätze und Fremdheiten zu überbrücken hoffte.

Dabei hat er, kurioserweise, den auffälligsten Wink des Schicksals gar nicht bemerkt. Das Hotel ›Zum blauen Stern‹ war nämlich einst, ab dem Jahr 1771, im Besitz einer Familie Kafka, und bis in die dreißiger Jahre des 19. Jahrhunderts hieß der Eigentümer tatsächlich Franz Kafka. Der nicht abergläubische, für solche Koinzidenzen aber sehr empfängliche Kafka wusste davon offenbar nichts – er hätte sich andernfalls die Sensation in seinen Werbebriefen an Felice gewiss nicht entgehen lassen.

Der Name Kafka war allerdings in Prag nicht eben selten, so dass die Existenz von Namensvettern nicht per se schon spektakulär war. So sind auf den Meldebögen der Prager Polizeibehörde (1850–1914) insgesamt 59 Personen mit dem Namen ›Franz Kafka‹ verzeichnet, geboren zwischen 1824 und 1904. Zwei davon, Vater und Sohn, besaßen gemeinsam mehrere Häuser. Und selbst in Kafkas Berliner Jahr gab es dort einen Franz Kafka unbekannter Herkunft, der im Adressbuch als »Eigentümer« firmierte (siehe das Fundstück ›Ein Doppelgänger in Berlin‹).

 

Quellen: Franz Kafka, Briefe an Felice Bauer, 27. Oktober und 9./10. Dezember 1912, in: Briefe 1900–1912, hrsg. von Hans-Gerd Koch, Frankfurt am Main (S. Fischer) 1999, S. 197 u. 314. – Jaroslaus Schaller, Beschreibung der königl. Haupt- und Residenzstadt Prag, Bd. 4, Prag 1797. Schematismus des Königreiches Böhmen für das Jahr 1825, Prag o.J. – Franz Klutschak, Der Führer durch Prag, 3. Aufl., Prag 1843. Schematismus für das Königreich Böhmen, Prag 1880.