Das frühe Werk

Entstehung

Von Kafkas frühen literarischen Versuchen ist offenbar nur ein Bruchteil erhalten geblieben. Aus den Jahren ab 1904 ist vor allem das umfängliche Fragment Beschreibung eines Kampfes überliefert, das Kafka dann 1909 durch eine grundlegende Überarbeitung (vergeblich) zu retten versuchte. Den Plan einer weiteren »Novelle«, Hochzeitsvorbereitungen auf dem Lande (1907), gab er nach etwa 60 Manuskriptseiten auf. Auch der gemeinsam mit Max Brod verfasste Roman Richard und Samuel (1911/12) gelangte über das erste Kapitel nicht hinaus.

Unter dem Eindruck dieses vielfachen Scheiterns versuchte sich Kafka an kürzeren Prosaformen; auch löste er Passagen aus der Beschreibung eines Kampfes, die ihm gelungen schienen, heraus und gestaltete sie zu geschlossenen Prosastücken um. Das Ergebnis dieser Versuche war Kafkas erste Buchveröffentlichung, der Band Betrachtung (Rowohlt Verlag, Leipzig 1912), der insgesamt 18 solcher Stücke enthält, vom Umfang weniger Druckzeilen bis zu einigen Seiten. Da dieses Buch jedoch erst nach Kafkas literarischem ›Durchbruch‹ vom September 1912 erschien, hatte er Mühe, sich mit den veröffentlichten Texten noch zu identifizieren, trotz des geringen zeitlichen Abstands.

Formen und Themen

Seit langem ist es üblich, alle literarischen Texte Kafkas, die vor dem Urteil, also vor September 1912 entstanden, als sein »Frühwerk« zu bezeichnen. Das ist insofern gerechtfertigt, als tatsächlich alle diese Werke (das heißt, so weit sie uns bekannt sind) deutlich experimentellen Charakter zeigen: Kafka hat seinen Stil noch nicht gefunden, die Sprache wirkt verspielt, ornamental, stellenweise sogar maniriert. Die verschachtelte und willkürliche Form der Beschreibung eines Kampfes steht in denkbar größtem Gegensatz zur klaren Struktur des Verschollenen oder des Process.

Hinzu kommt ein offensichtliches Desinteresse an der präzisen Schilderung gesellschaftlicher Wirklichkeit — trotz Kafkas früher Verehrung für Flaubert. Selbst bei den veröffentlichten Stücken aus Betrachtung überwiegt noch die Impression, die flüchtige Stimmung; Robert Musil sprach in seiner Rezension sogar von »Seifenblasen«.

Es ist dennoch nicht zu übersehen, dass bestimmte unverwechselbare Züge des späteren ›Kafka-Universums‹ hier bereits im Keim vorhanden sind. Dazu zählen etwa die schwankenden, um Orientierung ringenden Protagonisten; die gleichsam verschleierte Außenwelt, die immer nur in einzelnen, scharf gezeichneten Details Kontur gewinnt; nicht zuletzt auch das Motiv des Kampfes, das hier noch spielerisch umkreist wird, später jedoch für Kafka existenziellen Ernst gewinnt. Auch einige verblüffende Vorwegnahmen gibt es: So taucht etwa die Idee eines im Bett verharrenden Käfermenschen bereits in den Hochzeitsvorbereitungen auf.

Publikation

Schon in dieser frühen Phase, als Kafkas überragende literarische Begabung noch keinesfalls offenkundig war, spielte Max Brod eine bedeutsame Rolle als Mentor. Er rettete Manuskripte, die Kafka andernfalls gewiss vernichtet hätte, und er überredete ihn dazu, sich um Möglichkeiten der Veröffentlichung zu kümmern. Auch der Band Betrachtung kam nur durch nachhaltige Intervention Brods zustande.

Brod konnte freilich nichts daran ändern, dass Kafkas frühe Texte, die er überwiegend aus dem Nachlass herausgab, nur wenige Leser fanden und bis heute als Nebenwerke und Vorstufen gelten. Auch der Versuch Brods, aus den beiden Fassungen von Beschreibung eines Kampfes auf eigene Faust eine lesbare Version zu erstellen, musste scheitern.

Kafka selbst hätte die Veröffentlichung seiner frühen Fragmente entschieden abgelehnt; selbst den Band Betrachtung schloss er aus dem Kanon seiner ›gültigen‹ Werke aus und verbot testamentarisch eine Neuauflage (siehe den Wortlaut von Kafkas Testamenten).

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