Was zählt zu Kafkas Werk?
Kafkas Werke gelten seit langem als klassische Texte der europäischen Moderne. Dennoch werfen sie noch immer schwierige editorische Probleme auf, die nicht nur Herausgeber und Verlage, sondern auch die Leser unmittelbar betreffen.
Das liegt wesentlich daran, dass Kafka die weit überwiegende Zahl seiner literarischen Texte nicht vollendet und daher auch nicht veröffentlicht hat. Vor allem gilt das für seine drei Romane Der Verschollene, Der Process und Das Schloss: Sie blieben Fragment, werden aber dennoch zu Kafkas ›Werken‹ gezählt, ebenso wie die unvollendeten Erzählungen Hochzeitsvorbereitungen auf dem Lande, Der Bau und andere. Daneben gibt es literarische Projekte, zu denen mehrere Anläufe überliefert sind und bei denen wir die Gestalt des geplanten Werks lediglich erahnen können: Dazu zählen etwa die Fragmente zu Kafkas einzigem bekannten Bühnenwerk Der Gruftwächter. Schließlich finden sich in Kafkas Heften Hunderte kürzerer Fragmente, die aus wenigen Sätzen oder gar nur aus einem einzigen bildhaften Einfall bestehen.
Eine weitere Schwierigkeit besteht darin, dass die Grenze zwischen literarischen und ›privaten‹ Texten bei Kafka nicht immer klar zu ziehen ist. Etliche seiner Briefe und Tagebuchaufzeichnungen haben höchste sprachliche und formale Qualität, sie sind ›Literatur‹, ohne dass man sie deshalb umstandslos zu den Werken zählen dürfte. Auch hat Kafka für literarische Versuche und private Aufzeichnungen häufig ein und dieselben Hefte verwendet, wodurch die Grenzen weiter verwischt werden.