Tschechisch war die erste Sprache, in die ein literarischer Text Kafkas übersetzt wurde: Am 22. April 1920 erschien die Prager Literaturzeitschrift Kmen mit einem einzigen Beitrag, Kafkas Romankapitel Der Heizer, übertragen von Milena Jesenská.
Wie es zu dieser Übersetzung kam, lässt sich im einzelnen nicht belegen. Milena Jesenská lebte 1920 in bereits zerrütteter Ehe mit dem deutschen Literaten Ernst Pollak in Wien, und sie suchte dringend nach Verdienstmöglichkeiten als Journalistin, Übersetzerin oder Sprachlehrerin (siehe das Fundstück ›Ein Komma zu viel‹). Es war offenbar Pollak, der sie auf Kafka aufmerksam machte.
Im Winter 1919/20 kam es in einem Prager Kaffeehaus zu einem kurzen Zusammentreffen zwischen Jesenská und Kafka, bei dem sie ihn um Erlaubnis bat, einige seiner Werke übersetzen zu dürfen. Kafka hatte keine Einwände, obwohl er sicherlich bemerkte – bei der Begegnung wurde Deutsch gesprochen –, dass Jesenskás deutsche Sprachkenntnisse noch recht unzulänglich waren.
Auf die Übersetzung selbst nahm Kafka keinen Einfluss, und es gelang ihm zunächst auch nicht, mit Jesenská in schriftlicher Verbindung zu bleiben. Erst ab April 1920, als er ihr von Meran aus schrieb, antwortete sie ausführlicher und auch persönlicher. Bereits am 8. Mai erhielt er von ihr ein Exemplar des Kmen:
Als ich das Heft aus dem grossen Kouvert zog, war ich fast enttäuscht. Ich wollte von Ihnen hören und nicht die allzu gut bekannte Stimme aus dem alten Grabe. Warum mischte sie sich zwischen uns? Bis mir dann einfiel, dass sie auch zwischen uns vermittelt hatte. Im übrigen aber ist es mir unbegreiflich, dass Sie diese grosse Mühe auf sich genommen haben, und tief rührend, mit welcher Treue Sie es getan haben, Sätzchen auf und ab, einer Treue, deren Möglichkeit und schöne natürliche Berechtigung, mit der Sie sie üben, ich in der tschechischen Sprache nicht vermutet habe. So nahe deutsch und tschechisch? Aber wie das auch sein mag, jedenfalls ist es eine abgründig schlechte Geschichte, mit einer Leichtigkeit, wie nichts sonst, könnte ich liebe Frau Milena Ihnen das fast Zeile für Zeile nachweisen, nur der Widerwille dabei wäre noch ein wenig stärker als der Beweis. Dass Sie die Geschichte gern haben, gibt ihr natürlich Wert, trübt mir aber ein wenig das Bild der Welt. Nichts mehr davon.