Abfällige oder feindselige Bemerkungen über Juden war Kafka schon seit Kindheitstagen gewohnt. In Prag gingen solche Kränkungen fast immer von der tschechischen Mehrheit aus, und oft war nicht klar zu unterscheiden, ob es sich um Hass gegen Deutsche im allgemeinen oder gegen Juden im besonderen handelte.
Mehrfach wurde Kafka Zeuge von Gewaltausbrüchen, die sich zunächst gegen alles Deutsche richteten, dann aber mehr und mehr deutsche Juden zu Zielscheiben machten. So etwa im Dezember 1897, als eine plündernde und Steine werfende tschechische Menge tagelang durch die Straßen zog, Kafkas Altstädter Gymnasium verwüstete und sich auch in der Zeltnergasse, vor den Fenstern der Kafkaschen Wohnung, Kämpfe mit der Polizei lieferte.
Unmittelbare Lebensgefahr bestand dabei wohl nicht, da es der Mob nicht auf die Ermordung, sondern auf die Demütigung und ›Enteignung‹ deutscher Juden abgesehen hatte. In späteren Jahren jedoch, insbesondere nach Gründung der tschechoslowakischen Republik 1918, nahm die Rechtssicherheit der Juden dramatisch ab, und man musste durchaus damit rechnen, dass die Grenze zur körperlichen Gewalt überschritten würde. Er »bade im Judenhass«, schrieb Kafka 1920 an Milena Jesenská – eine deprimierende Situation, die zu seinen späten Auswanderungsplänen maßgeblich beigetragen hat.