Vom Umgang mit den Originalen

Process Faksimile-02
Franz Kafka. Der Proceß. Die Handschrift redet (= Marbacher Magazin 52/1990), bearbeitet von Malcolm Pasley, Marbach am Neckar 1990, S. 6.

 

 

Spätestens seit den achtziger Jahren genießen Originalmanuskripte und -briefe Kafkas den Status von Kultobjekten. Sie werden in Panzerschränken verwahrt, der Zugang ist strikt begrenzt, sie werden als Faksimiles reproduziert und ediert, und sofern sie noch im Autographenhandel angeboten werden – was immer seltener vorkommt –, dann zu Preisen, die oft selbst die Möglichkeiten staatlicher Institutionen überschreiten.

Das war keineswegs immer so, und der vielleicht eindrucksvollste Beleg dafür ist die Art und Weise, wie Kafkas Freund und Nachlassverwalter Max Brod mit den Originalen verfuhr. Brod hat sich zwar erfolgreich dafür eingesetzt, dass Kafkas Werke nach dessen Tod möglichst bald und vollzählig veröffentlicht wurden; er hatte aber keinerlei Bedenken, auf den (teilweise von ihm selbst ›geretteten‹) Manuskripten eigene Eintragungen und Streichungen vorzunehmen, noch nicht entzifferte Originale per Post zu verschicken oder einzelne Blätter zu verschenken.

Die Abbildung zeigt ein instruktives Beispiel: die erste Seite des Kapitels ›Im leeren Sitzungssaal‹ aus dem Roman Der Process. Da hier Kafka etliche Wörter in stenographischen Kürzeln geschrieben hat, fügt Brod den Hinweis für den Setzer hinzu: »Der nicht-stenographierte Text dieser Seite befindet sich auf der nächsten Seite 114 oben!« Auch die Paginierung rechts oben stammt von Brod. Insgesamt finden sich allein auf dieser Seite – zusätzlich zu der von Kafka verwendeten schwarzen Tinte – die Spuren von drei verschiedenen Schreibmaterialien: Rotstift, Blaustift und violette Tinte.