[Tagebuch Max Brod:]
Die Heimkehrenden werden durch klingendes Geld aufgehalten. Wir erinnern uns daran, was uns die ganze Zeit über im Halbbewußten lag, daß in Luzern gespielt wird. – Man zahlt 1 Franc Entree und tritt in einen Raum, der in der Verlängerung der Tür breit leer ist, während zu beiden Seiten lange Gruppen von Leuten stehn. An den Wänden sitzen andere, warten, eine alte Dame schläft. Jede der zwei Menschengruppen drängt sich um einen Tisch, der eigentlich aus fünf Teilen besteht, in der Mittel Kugel oder Pferdchen, zu beiden Seiten je zwei Tische mit dieser Einteilung: [siehe Abbildung] Die leeren Felder rechts und links bedeuten 2, 4, 6, 7 und 1, 3, 8, 9.
An der Wand Belehrung: daß durch ein Gesetz vom so und so vielten dieses Spiel gestattet ist. Höchsteinsatz 5 Frcs. »Da das Spiel zur Unterhaltung der Gäste bestimmt ist, werden die Einheimischen gebeten, den Fremden den Vortritt zu lassen.«
Die Spieler stehn. Croupiers sitzen im schwarzen Kaiserrock. Ein Spielleiter auf erhöhtem Sitz – zwei Hausknechte in Schwarz. Der Ausrufer: Messieur faites votre jeu – marquez le jeu – les jeux sont faits – sont marqués – rien ne va plus – le trois. Betonung auf dem Le. Unablässig. Dabei wirft er leicht die Gummikugel, die sich spät auf einer der Ziffern unten festsetzt. Die Worte teilen die kurze Zeit gut ein. – Die Croupiers haben Metallrechen an schwarzen, im Handgriff schon abgewetzten Stangen. Sie ziehn das Geld an sich, oder sie werfen es auf die gewinnenden Felder, wobei sie es mit dem Rechen auffangen. Sie teilen es, sie zeigen auch damit.
Man darf die Hände nicht auf das grüne Spielfeld legen.
Wir beraten am kühlen offenen Fenster. Zuerst schlage ich vor, ich solle grad, Kafka immer ungrad setzen. Das scheint uns lächerlich, da wir die 5 übersehn. Erst im Spiel bemerken wir es. Wir wechseln an der Kassa jeder fünf Frank. Setzen abwechselnd nur immer auf ungrad. Kafka gewinnt, ich habe bald gar nichts mehr. – Dann verliert auch Kafka. Dabei haben wir immer die Empfindung, daß so ein Spiel ewig dauern müsse. Unser Irrtum. – Das Geld verliert sich wie auf einer sanft geneigten schiefen Ebene – oder wie das Wasser, das man in der Badewanne losläßt und das so langsam abrinnt, daß es immer noch dazusein scheint. Auch verstopft sich der Stöpsel noch manchen Augenblick. Zum Schluß ist doch alles dahin. – Unser Ärger nachher, da man einen solchen Verlust nie mehr einbringen kann. Ob uns bei Selbstmorddrohung der Direktor die 10 Francs geben würde? – Ein guter Gedanke, der sich an diesen Verlust knüpft, ist, wie wir jetzt sehn, in Verlust geraten.
Es war ein langer Tag!