Im Sommer 1917 verabredete Kafka mit seinem Verleger Kurt Wolff, unter dem Titel Ein Landarzt eine Reihe kürzerer Erzählungen zu veröffentlichen. Wegen Papiermangels, Schwierigkeiten mit der von Wolff vorgeschlagenen übergroßen Schrifttype sowie aufgrund des allgegenwärtigen kriegsbedingten Mangels an Fachkräften erstreckte sich die Herstellung des Buchs jedoch über Jahre. Leider ist der Briefwechsel zwischen Kafka und dem Verlag nur fragmentarisch überliefert; er lässt jedoch erkennen, dass Kafka die Korrekturbögen in mehreren Fortsetzungen, mit großen zeitlichen Abständen und gelegentlich nur auf Drängen Max Brods erhielt. Kafka war darüber so verärgert, dass er zeitweilig erwog, den Verlag zu wechseln. Im März 1918 sandte er gar einen (wie er Brod mitteilte) »Ultimatumbrief« an Wolff, der jedoch ebenfalls nicht überliefert ist. Die letzten Korrekturen gingen Kafka zwischen Mitte Februar und Ende November 1919 zu, in mindestens neun separaten Lieferungen. (Insgesamt handelte es sich um 12½ datierte Korrekturbögen, von denen 9½ im Jahr 1995 bei einer Auktion in Berlin angeboten wurden. Ein namentlich nicht bekannter Käufer ersteigerte die Bögen für 42.000 DM.)
Wie akribisch und unnachgiebig Kafka Korrektur las, zeigt das Titelblatt, das er mit der letzten Sendung erhielt. Der Landarzt. Neue Betrachtungen war eine Titelformulierung, mit der der Verlag — ohne Rücksprache mit dem Autor — an Kafkas erstes Buch Betrachtung anknüpfen wollte. Kafka bestand jedoch auf dem von ihm gewählten Titel Ein Landarzt. Kleine Erzählungen. Unklar ist, warum er auch das Erscheinungsjahr tilgte; vielleicht deshalb, weil sich bereits abzeichnete, dass der Band erst im Jahr 1920 erscheinen würde.
Der Band wurde im Mai 1920 mit einer Auflage von höchstens 2.000 Exemplaren ausgeliefert. Er enthält die Texte: Der neue Advokat. Ein Landarzt. Auf der Galerie. Ein altes Blatt. Vor dem Gesetz. Schakale und Araber. Ein Besuch im Bergwerk. Das nächste Dorf. Eine kaiserliche Botschaft. Die Sorge des Hausvaters. Elf Söhne. Ein Brudermord. Ein Traum. Ein Bericht für eine Akademie.
Ein Landarzt war das letzte Buch Kafkas im Kurt Wolff Verlag. Besprochen wurde es von einem einzigen Rezensenten.
Der S. Fischer Verlag dankt Roland Templin, Berlin.