Am 1. April 1921 erschien im Feuilleton der angesehenen Brünner Zeitung Lidové Noviny ein Artikel mit der Überschrift ›Léčení tuberkulosy Einsteinovým principem relativity?‹ (›Behandlung der Tuberkulose nach dem Einsteinschen Relativitätsprinzip?‹). Darin wurde berichtet, ein Berliner ›Professor Dr. med. F. Wergeist‹ habe vorgeschlagen, die von Einstein bewiesene Veränderung der Längenmaße bei bewegten Körpern zur Heilung Tuberkulosekranker auszunutzen: Auf einem Schiff, das ständig nach Osten fährt, würden die Patienten zunehmen (was damals als wesentliche Voraussetzung der Heilung betrachtet wurde).
Weiterhin sei es zu einer wissenschaftlichen Kontroverse mit einem Münchener ›Professor Kropfmeier‹ gekommen, der eine andere Fahrtrichtung für bekömmlicher hielt. Wergeist habe daraufhin eine konkrete Route ausgearbeitet, die ein allmähliches Zu- und Abnehmen der Patienten ermöglicht: Triest, Suez-Kanal, Indischer Ozean, Stiller Ozean, Panama-Kanal, Kanarische Inseln. In Prag sei bereits eine Firma gegründet worden, welche die entsprechenden Sanatoriumsschiffe in Betrieb nehmen wird. Es sei vorgesehen, Patienten, die sich die Anti-Tuberkulose-Fahrten nicht leisten können, mit Stipendien zu unterstützen.
Als dieser makabre Unsinn publiziert wurde, befand sich der tuberkulosekranke Kafka bereits seit mehreren Monaten im Kurort Matliary in der Hohen Tatra (Slowakei). Von dort berichtete er seiner Schwester Ottla über den Artikel; er selbst sei Anfang April von einem Darmkatarrh so geschwächt gewesen, »dass ich wirklich ein, zwei Stunden daran glaubte«. Ein Mitpatient sei sogar hoffnungsfroh mit der Zeitung zum Arzt gelaufen.
Kafka versuchte nun seinerseits, Ottlas Ehemann Josef (›Pepa‹) David mit diesem Artikel hereinzulegen: einen ehrgeizigen tschechischen Bankbeamten, der sich auf seine Bildung einiges zugute hielt. Ottla solle ihm das Feuilleton vorlegen; halte er die Sache für aussichtsreich, dann möge er sich bitte erkundigen, wo man Plätze auf den Sanatoriumsschiffen bekommt und wie teuer die Fahrt ist.
Obwohl Kafka in seinem Brief deutlich genug darauf hinwies, dass es sich um die Ausgabe vom 1. April handelte, war der Erfolg durchschlagend: Nicht nur Ottla und Josef David glaubten die Geschichte, sondern die gesamte Familie Kafka. Als sich die Aufregung nicht legen wollte, musste Kafka schließlich die Notbremse ziehen: »Die Mutter ... schreibt mir heute wieder wegen der Schiffe. Beim Hereinfall in Aprilscherze seit Ihr wirklich sehr hartnäckig, dabei hatte ich es mehr auf Pepa abgesehn, aber Ihr wolltet ihn nicht allein lassen. Ich fürchte mich nur immerfort, dass Ihr Euch aus mir einen Spass macht.«
Quellen: Briefe an Ottla Kafka, Anfang April und 6. Mai 1921, in: Franz Kafka, Briefe an Ottla und die Familie, hrsg. von Hartmut Binder und Klaus Wagenbach, Frankfurt am Main (S. Fischer) 1975, S. 118 u. 122. – Hartmut Binder, ›Kafkas Briefscherze. Sein Verhältnis zu Josef David‹, in: Jahrbuch der deutschen Schillergesellschaft, 13 (1969), S. 536-559.