Als Kafka im Februar 1919 Zeuge dieses ›Gesprächs‹ wurde, lag er — fest eingewickelt in Decken — auf einem Balkon der Pension Stüdl in Schelesen (Želízy), einem Dorf nördlich von Prag. Die Arbeiter-Unfall-Versicherungs-Anstalt, in der Kafka angestellt war, hatte ihm wegen seiner Tuberkulose-Erkrankung einen mehrmonatigen Erholungsurlaub genehmigt.
Die Adressatin der Mitteilung, Kafkas jüngste Schwester Ottla, befand sich zu dieser Zeit im nordböhmischen Friedland, um eine landwirtschaftliche Ausbildung zu absolvieren. Es erging ihr dort nicht sonderlich gut: Zwar bewältigte sie den Unterrichtsstoff und bestand auch das abschließende Examen; doch sie litt unter der Mangelversorgung, die in den deutschböhmischen Grenzgebieten noch lange nach dem Krieg anhielt, und sie war dem Unverständnis und dem Drängen der Eltern ausgesetzt, die sie immer wieder zur Rückkehr nach Prag aufforderten. Vor allem litt sie darunter, dass ihr Vater auf jede Erwähnung landwirtschaftlicher Themen mit Verachtung reagierte; für ihn war es unbegreiflich, dass Ottla nicht dem Vorbild ihrer beiden Schwestern folgte, das heißt, sich auf ein städtisches Leben als Hausfrau und Mutter vorbereitete. Dass Hermann Kafka sich an dem belauschten ›Gespräch‹ hätte erheitern können, ist daher zweifelhaft.
Quelle: Brief an Ottla Kafka, 20. Februar 1919, in: Briefe 1918-1920, hrsg. von Hans-Gerd Koch, Frankfurt am Main (S. Fischer) 2013, S. 73.