Ein besonders auffallendes Merkmal von Kafkas sozialem Leben war es, dass ihm von allen Seiten Sympathie entgegengebracht wurde: von Männern wie von Frauen, von Deutschen und Tschechen, Juden und Christen. Kafka war beliebt nicht nur unter Kollegen und Vorgesetzten, die ihn über längere Zeit beobachteten, sondern auch unter ganz fremden Tischgesellschaften, zu denen er sich in Hotels und Kuranstalten gesellte, und im weitläufigen Bekanntenkreis seiner Freunde. Kafka war im alltäglichen Umgang freundlich, hilfsbereit, charmant, ein einfühlsamer Zuhörer, dabei aber völlig unaufdringlich, und vor allem seine originellen selbstironischen Äußerungen sorgten dafür, dass niemand ihn als intellektuellen oder erotischen Konkurrenten empfand. Von publizistischen Fehden hielt sich Kafka fern, und auch in den überlieferten Tagebüchern und Briefen naher Zeitgenossen findet sich kein böses Wort über ihn.
Mit einer bemerkenswerten Ausnahme. »Kafka wird, je länger ich von ihm entfernt bin, desto unsympathischer mit seiner schleimigen Bosheit.« So der Arzt und Schriftsteller Ernst Weiß in einem Brief an seine Geliebte, die Schauspielerin Rahel Sanzara. Weiß war einer der wenigen Freunde Kafkas, die nicht aus dem Umfeld Max Brods stammten und die mit Brod in gewissem Sinn konkurrierten. Nach Weiß’ Auffassung wäre es für Kafka die einzig denkbare Lösung seiner Lebensprobleme gewesen, sich aus den vielfachen Prager Bindungen zu lösen und eine literarische Existenz in Berlin zu begründen.
Wie es zu dem Bruch kam, ist nicht völlig geklärt, doch war Weiß offenbar erbost darüber, dass Kafka eine seit langem versprochene Rezension seines Romans Der Kampf letztlich doch verweigerte. Der Roman erschien im April 1916, zu einer Zeit, da Kafka schon seit langem unproduktiv war und sich auch zur geringfügigsten schriftstellerischen Arbeit unfähig fühlte, was indessen Weiß als Ausflucht empfand. »Wir wollen nichts mehr miteinander zu tun haben, solange es mir nicht besser geht«, schrieb Kafka an Felice Bauer. »Eine sehr vernünftige Lösung.«